Ist das wirklich längst Vergangenes?


Dokumentation über den NS-Massenmord an Kindern

Es gehört wohl zu den Alpträumen jeder Gesellschaft, wenn Institutionen, von denen man sich Hilfe, Genesung und liebevolle Betreuung erhofft, sich in tödliche Selektionsadressen verwandeln. Kurz: Wenn aus Kindergärten Begutachtungsstellen, aus Krankenhäusern samt Personal Institutionen mit tödlicher Befugnis werden. Waltraud Häupls Dokumentation „Der organisierte Massenmord an Kindern und Jugendlichen in der Ostmark 1940-1945“, kürzlich im Böhlau Verlag erschienen, zieht eine erschütternde Bilanz gesellschaftlich akzeptierter Kaltherzigkeit.

Ganz gleich, wie sie heißen, ob Hans Hützen (1932-1945), Jakob Hilgert (1926-1943), Margarete Günther  (1925-1943) oder Else Dörmann (1928-1944): das Vernichtungsprogramm „unwerten Lebens“ in der NS-Zeit betraf Jugendliche ebenso wie Säuglinge und Kleinkinder. Am 1. September wird der „Gnadentod-Erlass“ von Adolf Hitler erlassen, eine unerträgliche Umschreibung des Rassenwahns der Nazis. Es entstanden im gesamten „Reich“ Tötungszentren und Menschenversuchsabteilungen, die als Tageskliniken oder als Erholungsheime nach außen fungierten. In Österreich sind Hartheim bei Linz bzw. Am Spiegelgrund in Wien bekannt geworden, Niedernhart (Oberösterreich), Gusen (Oberösterreich), Gugging (Niederösterreich), Am Steinhof (Wien), Feldhof bei Graz, das Landeskrankenhaus Klagenfurt waren weitere dieser Heil- und Vernichtungsanstalten in der „Ostmark“.

In weiterer Folge setzte ein Massenmord ein, der auf medizinisch-ärztliche Begutachtung fußte und offiziell mit „Herzlähmung“, „Tuberkulose“, „Lungenentzündung“ „allgemeinen Kräfteverfall“ endete. Was das bedeutet, erzählt die kurze Lebensgeschichte der 15jährigen Hamburgerin Waltraud Hoh, die im Oktober in der Wagner v. Jauregg Heil- und Pflegeanstalt in Wien stirbt. Mit einundeinhalb Jahren kann Waltraud bereits laufen, eine Milchvergiftung beeinträchtigt die Gesamtentwicklung, das Mädchen wird vom Schulbesuch befreit. 1936 wird sie in eine Hamburger Pflegeanstalt eingewiesen, 1943 wird Waltraud aufgrund der Bombenangriffe mit einem großen Pflegetransport nach Wien verlagert. Die Mutter, in Hamburg lebend, wird zu Bittstellerin: In einem Brief ersucht sie, ihre Tochter doch nicht immer nur im Bett liegen zu lassen, da Waltraud sich außerordentlich gerne bewege. Im November 1944 erhält die Mutter die Todesanzeige: „Lungenentzündung“. In ihrem Brief an die Anstalt schreibt sie: „Wie schon aus meinem Telegramm ersichtlich, möchte ich meine Tochter Waltraud einäschern lassen und nach hier überführen, (..) Ich bitte, in diesem Sinne meinem Kinde eine liebevolle Einsegnung zu bereiten. (…) Leider ist die Reise zu gewagt, sonst hätte ich selbstverständlich meinem Kind das letzte Geleit gegeben.“

Zu Recht spricht die Autorin auch den „Schweige“-Skandal der Zweiten Republik an, der etwa in Wien erst vor einigen Jahren dazu geführt hat, den Opfern des Spiegelgrundes öffentlich zu gedenken. Häupl brachte vor zwei Jahren auch die Dokumentation „Die ermordeten Kinder vom Spiegelgrund“, ebenfalls im Böhlau Verlag erschienen, darüber raus. Makabres Detail: 1997 erfuhr Waltraud Häupl, selbst Jahrgang 1935, dass ihre kleine Schwester Annemarie Am Spiegelgrund ermordet wurde. Annemarie war vier Jahre alt. „Jahrzehntelang konnte in unserem Land vertuscht und verdrängt werden, was nicht öffentlich sein sollte“, schreibt Häupl mit entsprechender Empörung. Dem ist nichts hinzuzufügen, bis auf einen Dank an die Autorin, bei ihrer aufwendigen und schwierigen Archiv-Arbeit konsequent geblieben zu sein. In Sachen Spiegelgrund: Hier wurden 2001 auf der Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof, was dem Ehrengrab für Opfer des Nationalsozialismus entspricht, die sterblichen Überreste der ermordeten Kinder vom Spiegelgrund beigesetzt.

Das Buch selbst besteht mehrheitlich in einer peniblen Auflistung sämtlicher Daten und Hintergründe hunderter Opfer, derer Häupl in den verschiedenen Archiven habhaft werden konnte. Dort, wo die Lebensgeschichte durch Briefe und Akten greifbarer wird, gibt das Buch genauere Auskunft über das kurze Leben der Kinder und Jugendlichen, die den Tod durch menschenverachtende Perversion fanden.

Waltraud Häupl, Der organisierte Massenmord an Kindern und Jugendlichen in der Ostmark 1940-1945. Gedenkdokumentation für die Opfer der NS-Euthanasie.“, Böhlau Verlag (www.boehlau.at) , Wien 2008, 272 Seiten, Euro 29,90 , ISBN 978-3-205-77729-8  (OTS)

http://www.dasjournal.net/news/152/ARTICLE/13850/2008-11-11.html

Das lasse ich jetzt einfach völlig unkommentiert auf Euch wirken.

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